Rubrik Verkehr / Mobilität

"Fahrpersonal Bus & Bahn" liefert erstmals bundesweit Erkenntnisse aus Sicht der Beschäftigten

Über die Hälfte des Fahrpersonals bei Bus und Bahn sind Quereinsteiger

23.05.2025 – Lesezeit ca. 5 Minuten 28

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) legt gemeinsam mit der Digitalberatung nexum erste Ergebnisse der in dieser Form und Umfang bislang einmaligen „Großen Deutschlandumfrage Fahrpersonal Bus&Bahn 2025“ vor, bei der das Fahrpersonal des öffentlichen Personen- und des Schienengüterverkehrs direkt befragt wurde. Neben Einschätzungen der Befragten zu den Rahmenbedingungen ihres Jobs liefert die Befragung auch interessante Erkenntnisse, wie und warum sich die Fahrerinnen und Fahrer für diesen Beruf entschieden haben. Insgesamt nahmen 1425 Beschäftigte aus ganz Deutschland an der Umfrage teil.

Der demografische Druck auf die Branche ist gewaltig: Allein im ÖPNV fehlen bereits heute 20000 Busfahrerinnen und Busfahrer sowie 3000 Triebfahrzeugführer. Laut VDV sind rund 100000 Busfahrerinnen und Busfahrer in Deutschland tätig. Im Schienenverkehr arbeiten rund 40000 Triebfahrzeugführer. Jährlich gehen rund 6000 Mitarbeitende im Bus- und Tram-Fahrdienst in den Ruhestand.

Harald Kraus, Vorsitzender des VDV-Personalausschusses und Vorstandsvorsitzender der VDV-Akademie: „Wir sind vor allem beim Fahrpersonal aus demografischen Gründen mit großen Herausforderungen bei der Personalgewinnung konfrontiert. Deshalb ist es wichtig, möglichst genau einzuschätzen, wie die aktuellen, aber auch potenziellen künftigen Fahrerinnen und Fahrer auf diesen Job und seine Rahmenbedinungen blicken. Die Ergebnisse lassen sich in Anforderungen an Politik und Branche unterteilen: Für die Politik ergeben sich insbesondere vier Handlungsfelder – erstens muss die Finanzierung für die Anpassung von Arbeitszeitmodellen und Löhnen ausgebaut werden. Zweitens braucht es bundeseinheitliche Sicherheitsstandards, etwa bei technischer Ausstattung, Videospeicherfristen, Sicherheitspartnerschaften. Drittens kann das Potenzial in Aus- und Weiterbildung besser ausgeschöpft werden – durch Abbau von Qualifizierungshürden, Förderung von Umschulungen und vereinfachten Busführerscheinerwerb. Nicht zuletzt muss die Integration von Migrantinnen und Migranten über angepasste Sprachanforderungen und gezielte Förderung erleichtert werden. Aber auch die Branche ist bei den Themen Quereinsteigergewinnung, Arbeitgeberattraktivität und Digitalisierung der Rekrutierungsprozesse gefordert.“

Arbeitsbedingungen, Image und bürokratische Hürden sind zentrale Faktoren Bessere Arbeitsbedingungen, ein wertschätzenderer Umgang durch die Fahrgäste sind aus Fahrpersonal-Sicht zentrale Faktoren, um ihren Beruf attraktiver zu machen. Auch die Branche mahnt Anpassungen beim Sprachnachweis und bei den Vorgaben für den Busführerschein-Erwerb an. Laut Deutschlandumfrage empfinden 30 Prozent der Beschäftigten die Dienstpläne in Teilen als nur schwer vereinbar mit dem Privatleben. Der unmittelbare Fahrgastkontakt und der zunehmende Stress im Straßenverkehr werden oft als belastend empfunden, etwa durch hohe Anspannung durch unübersichtliche Situationen im Fahrgastkontakt sowie ein wachsendes Unsicherheitsgefühl. „Die Verkehrsunternehmen tun bereits viel, um Dienstpläne, Arbeitsbelastung und finanzielle Rahmenbedingungen im Fahrdienst zu verbessern. Aber ein höherer Verdienst oder eine arbeitnehmerfreundlichere Dienstplangestaltung können nur durch weitere finanzielle Mittel umgesetzt werden. Geld, das die Unternehmen allein nicht aufbringen können. Wenn die Politik mehr Leistung und Angebot bei Bus und Bahn fordert, muss sie Möglichkeiten schaffen, dies umzusetzen“, erklärt Kraus.

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Empfehlung an die Branche: stärkerer Fokus auf Quereinstieg und digitale Bewerbungsprozesse

„Über 54 Prozent der Befragten kamen als Quereinsteigende in die Branche. Die Prozesse zur Bewerbung, Einarbeitung und Qualifikation müssen stärker auf diese Zielgruppe ausgerichtet sein. 31 Prozent der Befragten nannten Social Media als Bewerbungskanal, 50 Prozent fanden über Karriereseiten in den Beruf – persönlichen Empfehlungen aus dem privaten oder beruflichen Umfeld sind mit rund 53 Prozent führend“, sagt Lisa Behrendt, Lead Consultant Employer Branding bei nexum. Bei den digitalen Bewerbungsprozessen besteht aber dennoch großes Potenzial. Denn für die unter 30-Jährigen sind digitale Ansprache und moderne Unternehmenskultur wichtig. Die Präsenz auf verschiedenen digitalen Bewerbungsplattformen, transparente Infos zu Gehalt und Arbeitszeiten sowie Arbeitgeberbewertungen sind zentral für das Employer Branding, wenn es um die branchenübergreifende Ansprache jüngerer Zielgruppen geht. „Für manches Unternehmen ist das noch ungewohnt, denn bislang konnte die Branche ihren Bedarf an Fahrpersonal oft durch regionale oder lokale Aktivitäten decken. Doch wer die jungen Zielgruppen und Quereinsteiger besser erreichen will, muss mit Authentizität, Respekt und digitalen Mitteln kommunizieren – und auf Augenhöhe. Eine zeitgemäße Karriereseite mit echten Einblicken, klaren Erwartungen und Gehaltsinformationen ist keine Zusatzleistung mehr, sondern Grundvoraussetzung. Gleichzeitig braucht es interne Kulturveränderung: Mitarbeitende müssen sich als Botschafter verstanden fühlen“, so Behrendt.

51 Prozent der Befragten bewerten das gesellschaftliche Image ihres Berufs als schlecht oder sehr schlecht. Als Hauptgründe wurden mangelnde Wertschätzung durch Fahrgäste, ungünstige Arbeitszeiten und niedrige Bezahlung genannt. Die Branche sieht gezielte Imagekampagnen, etwa für Quereinsteiger, Jugendliche und internationale Zielgruppen, als zentrale Stellschraube für den Fachkräftenachwuchs. Dabei geht es nicht nur um Werbung.

Erkenntnisse für die Politik: Handlungsbedarf dringend und breit

„Gute Arbeitsbedingungen sind eine Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Bus- und Bahnverkehr, der gegenwärtig darum kämpft, den bestehenden Fahrplan zu fahren und für unseren ökölogischen und ökonomischen Ziele wachsen soll. Dafür braucht es sichere Arbeitsumgebungen, tarifliche Absicherung und faire Bezahlung. Mit den zusätzlichen Kosten, die daraus resultieren dürfen Bund und Länder die Kommunen nicht allein lassen“, fordert auch Andreas Schackert, Bundesfachgruppenleiter Busse und Bahnen bei ver.di. Laut Umfrage gaben 57 Prozent der Befragten an, dass Arbeitsplatzsicherheit und Gehalt (30 Prozent) für ihre Berufswahl entscheidend war. „Tarifbindung, sichere Arbeitsumgebungen und Qualifizierung sind dabei so wichtig wie ein gesellschaftlich anerkanntes Berufsbild“, so Schackert weiter.


Weitere zentrale Erkenntnisse aus er Deutschlandumfrage Fahrpersonal:

Finanzielle Vorteile: Besonders gefragt sind aus Sicht des Fahrpersonals Sonderzahlungen (Urlaub, Weihnachten: 80 Prozent), ein kostenloses Deutschland-Ticket (24 Prozent), betriebliche Altersvorsorge (68 Prozent), und Gesundheitschecks (22 Prozent).

Qualifizierung: Der Erwerb des Busführerscheins ist aus Branchensicht eine vermeidbare Einstiegsbarriere – hohe Kosten, Altersgrenzen und Aufwand schrecken ab. Der VDV fordert daher eine Reform des Führerscheinerwerbs.

Sicherheit: Das Sicherheitsgefühl der Beschäftigten ist seit Jahren ein Thema innerhalb der Branche. Die Branche wünscht sich eine stärkere Präsenz von Sicherheitspersonal seitens der Behörden sowie mehr technische Schutzmaßnahmen wie Videoüberwachung. Die Verkehrsunternehmen plädieren für längere Videospeicherfristen. Der VDV plädiert für eine bundeseinheitliche Regelung mit 30 Tagen Speicherzeit.

Alle Werte gerundet.

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