Rubrik Verkehr / Mobilität

enwag in Wetzlar fordert gesetzliche Anpassungen der EU-Strombinnenmarktrichtlinie

Unbundling-Regelung bremst Ausbau der E-Ladeinfrastruktur

19.05.2025 – Lesezeit ca. 5 Minuten 39

Unbundling-Regelung bremst Ausbau der E-Ladeinfrastruktur

Die Unbundling-Vorgaben der Strombinnenmarktrichtlinie stellen kommunale Netzbetreiber deutschlandweit vor neue Herausforderungen. enwag-Geschäftsführer Dr. Berndt Hartmann setzt sich für die Einführung eines Schwellenwertes für Ladepunkte ein. (Bild: enwag)

Die Unbundling-Vorgaben der Strombinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 stellen kommunale Netzbetreiber deutschlandweit vor neue Herausforderungen beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. Auch die enwag energie- und wassergesellschaft mbh (Wetzlar) gehört zu den betroffenen De-minimis-Unternehmen und fordert gesetzgeberische Nachbesserungen auf EU-Ebene. Um Monopole zu verhindern und den Wettbewerb anzukurbeln, dürfen Stromnetzbetreiber gemäß Artikel 36 der Strombinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 künftig keine E-Ladesäulen mehr aufstellen und betreiben. Ursprünglich sollte diese Regelung schon zum 31. Dezember 2024 in Kraft treten. Vor kurzem hat die Bundesregierung die Frist für die Umsetzung der Entflechtung von Stromnetzbetrieb und Ladesäulenbetrieb durch De-minimis-Unternehmen um zwei Jahre verlängert – bis zum 31. Dezember 2026. Dr. Berndt Hartmann, Geschäftsführer der enwag, begrüßt die Fristverlängerung, sieht aber weiterhin erheblichen Handlungsbedarf: „Die Fristverlängerung ist ein Schritt in die richtige Richtung, löst aber das strukturelle Problem nicht nachhaltig. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur darf nicht durch praxisferne Vorgaben ausgebremst werden. Deshalb setzen wir uns für eine Anpassung des Energiewirtschaftsgesetzes ein. Die dafür notwendige Anpassung der Strombinnenmarktrichtlinie muss allerdings auf EU-Ebene erfolgen – erst dann kann Deutschland die Änderung ins nationale Recht und damit in das EnWG überführen“, sagt er. Viele kleine und mittlere Stadtwerke betreiben oft nur wenige Ladesäulen und stehen vor der Frage, ob sie die Ladesäulen verkaufen oder den Betrieb einstellen. Denn der bürokratische Aufwand – etwa für die Gründung einer eigenen Gesellschaft und den laufenden Betrieb der Ladesäulen – ist hoch. Berndt Hartmann erklärt, dass die enwag ihre Ausbaupläne für Ladesäulen zurückhaltend angehe, so lange hier keine endgültige Lösung gefunden sei, und ergänzt: „Sinnvoll wäre aus unserer Sicht die Einführung eines Schwellenwertes, unterhalb dessen kleinere kommunale Versorger wie die enwag auch nach 2026 unter bestimmten Bedingungen weiterhin Ladeinfrastruktur betreiben dürfen.“ Die enwag betreibt derzeit 74 öffentliche Ladepunkte.

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Engagement in der Region steht vor Profitinteresse

Berndt Hartmann erläutert, dass die Regelung nicht nur kommunale Unternehmen vor große Herausforderungen stelle, sondern auch den zügigen Ausbau der Ladeinfrastruktur bremse. „Große Konzerne haben häufig wenig Interesse, in ländlichen Regionen den Ausbau der Ladeinfrastruktur voranzubringen. Oft sind es die Stadtwerke, die den Betrieb dort sicherstellen – nicht aus Profitinteresse, sondern aus Verantwortung für die Region“, betont der enwag-Geschäftsführer. Für viele Stadtwerke sei der Ladesäulenbetrieb aktuell noch defizitär oder bestenfalls kostendeckend. Gliedere man nun den Ladesäulenbetrieb in eine neue Tochtergesellschaft aus, würde dies nicht nur zusätzliche Personal- und Verwaltungskosten verursachen, sondern auch wertvolle Fachkompetenz aus dem Unternehmen verlagern. Diese Mehrkosten würden letztlich auf die Kundinnen und Kunden umgelegt werden, deren Energiekosten eigentlich sinken sollen. Sollte der Betrieb hingegen an einen externen Anbieter übergehen, würden verstärkt wirtschaftliche Interessen anstelle regionaler Bedürfnisse in den Vordergrund rücken.

Schwellenwert als Lösung – EU-Recht als Voraussetzung

„Wir wollen die Mobilitätswende vor Ort auch in Zukunft aktiv mitgestalten. Eine Anpassung des Energiewirtschaftsgesetzes wäre die einfachste und nachhaltigste Lösung, damit wir weiterhin Verantwortung für die Ladeinfrastruktur in Wetzlar übernehmen können“, sagt Berndt Hartmann. Ein möglicher Ansatz wäre die Einführung einer Geringfügigkeitsschwelle, die die Entflechtungspflicht erst ab einer bestimmten Anzahl an Ladepunkten vorsieht – beispielsweise ab 100 Ladepunkten oder 50 Ladestationen. Alternativ könnte der Schwellenwert an die Anzahl der Netznutzer oder die Einwohnerzahl einer Stadt gekoppelt werden.

Dieser Ansatz wäre jedoch nicht allein auf nationaler Ebene umsetzbar: Die entsprechende Unbundling-Vorgabe stammt aus der EU-Strombinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944. Eine Ausnahme – etwa in Form eines Schwellenwerts – müsste zunächst auf europäischer Ebene ermöglicht werden. Erst dann kann der deutsche Gesetzgeber diese in nationales Recht überführen. Das wäre kein neues Prinzip: Bei der Entflechtung von Strom- und Gasnetzen hat der EU-Gesetzgeber bereits Ausnahmen für De-minimis-Unternehmen gewährt, die weniger als 100.000 Kunden beliefern. So sieht §7a Absatz 6 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) vor, dass diese Unternehmen ihren Energievertrieb gesellschaftsrechtlich nicht vom Netzbetrieb trennen müssen, um die regionale Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit nicht zu gefährden. Die enwag hält eine ähnliche Regelung auch für den Betrieb von Ladeinfrastruktur für sinnvoll und ist damit nicht allein. „Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), in dem ich aktiv bin, setzt sich für eine Lockerung des Energiewirtschaftsgesetzes ein – insbesondere für die Einführung eines Schwellenwertes für Ladesäulen. Zudem unterstützen zahlreiche De-minimis-Stadtwerke nicht nur im erweiterten hessischen Rhein-Main-Gebiet diese Forderungen“, betont Berndt Hartmann und ergänzt: „Wir appellieren an die Bundesregierung, diese Gesetzesinitiative auf europäischer Ebene aktiv voranzutreiben. Nur dann kann die Mobilitätswende in der Breite gelingen.“

So geht es in Wetzlar weiter

2024 hat die enwag zahlreiche Ladesäulen in Betrieb genommen. Waren es 2023 noch 52 Ladepunkte, sind es mittlerweile 74. Im Sommer 2024 hat der kommunale Energieversorger im Parkhaus der Theodor-Heuss-Schule in der Spilburg den größten Ladepark Wetzlars mit 16 Ladepunkten eröffnet. Trotz der Unsicherheiten plant die enwag den weiteren Ausbau der Ladeinfrastruktur. „Eine eigene Tochtergesellschaft wird es nicht geben, aber eine Kooperation mit anderen kommunalen Versorgern in der Region wäre denkbar,“ erklärt Berndt Hartmann und ergänzt: „Wir prüfen verschiedene Szenarien für die Zeit nach Ablauf der Übergangsfrist, werden aber genau abwägen, welche wirtschaftlich tragfähig sind.“

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