Dieser Artikel wurde in der Ausgabe April 2025 der gedruckten Kommunalwirtschaft abgedruckt.
Von Thomas Gierlich, Business Development Manager, Grundfos GmbH – 08.04.2025 – Lesezeit ca. 10 Minuten 24
Fernwärme ist eine wichtige Säule für die Wärmewende. Vielerorts gibt es aber noch erheblichen Modernisierungsbedarf. Ein vielversprechender Ansatz für heterogene Netze ist die Einrichtung von bedarfsgerechten Temperaturzonen mit intelligent geregelten Mischkreisen.
Nach dem neuen Wärmeplanungsgesetz, das am 1. Januar 2024 zusammen mit dem Gesetz für erneuerbares Heizen in Kraft getreten ist, soll Deutschland bis 2045 klimaneutral heizen. Auch Wärmenetze müssen bis dahin klimaneutral sein. Die aktuelle Praxis ist davon noch weit entfernt. Der Anteil erneuerbarer Energien zur Fernwärmeerzeugung ist in den letzten 20 Jahren zwar erkennbar gestiegen, lag 2023 aber immer noch bei lediglich 24 Prozent (AG Energiebilanzen, Energiebilanz für Deutschland, Vorläufige Daten für 2023, Stand 09/2024).
Herkömmliche Fernwärmenetze arbeiten meist mit einer zentralen Wärmeerzeugung und versorgen mit hohen Übertragungstemperaturen sehr unterschiedliche Verbraucher. Viele Netze sind über Jahrzehnte gewachsen. Sukzessive Erweiterungen des Rohrnetzes, neu angeschlossene Wohngebiete und dynamische Gewerbeentwicklung haben vielerorts zu heterogenen Netzen geführt. Sie versorgen Neubaugebiete mit Niedrigenergiehäusern ebenso wie ältere Wohnsiedlungen, Büroflächen, Gewerbegebiete und energieintensivere Produktionsbetriebe. Da die Übertragungstemperatur in der Regel auf den Wärmebedarf des größten Verbrauchers abgestimmt ist, führt das dazu, dass das gesamte Verteilnetz mit hohen Temperaturen gefahren wird. Eine Übertragungstemperatur von 100-120 Grad im Lastbetrieb ist in solchen Netzen eher die Regel als die Ausnahme.
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Abb 1: Typisches heterogenes Fernwärmenetz mit zentraler Wärmeerzeugung und durchgehend hoher Vorlauftemperatur
Solch hohe Netztemperaturen bringen jedoch erhebliche Nachteile mit sich. Sie führen zu deutlich größeren Wärmeverlusten, steigender Verdampfungsgefahr und einer höheren Beanspruchung des Rohrsystems. Darüber hinaus muss das Rohrsystem beim Ausbau höher spezifiziert werden als bei geringeren Netztemperaturen, entsprechend höher sind die Kosten.
Der mit Blick auf klimaneutrale Wärmeversorgung gravierendste Nachteil besteht darin, dass sich bei Übertragungstemperaturen von deutlich über 90 Grad weder Wärme aus erneuerbaren Energien wie Geo- oder Solarthermie noch Abwärme aus industriellen Prozessen sinnvoll in das Fernwärmenetz einbinden lassen. Dabei könnte allein die Abwärmenutzung in der Fernwärme nach konservativen Schätzungen des AGFW (Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK) rund 40 Prozent der im deutschen Klimaschutzplan bis 2030 vorgesehenen Einsparungen im Gebäudesektor leisten.
Um zukunftsfähig zu sein, müssen Fernwärmenetze zwei zentrale Anforderungen erfüllen: Sie müssen Verbraucher möglichst effizient, also bedarfsgerecht versorgen und erneuerbare Energien sowie lokal vorhandene Abwärme nutzen können. Vielerorts ist das noch nicht der Fall. Ein vergleichsweise einfacher und wirkungsvoller Weg, bestehende heterogene Netze dafür zu ertüchtigen, sind intelligent geregelte Temperaturzonen.
Temperaturzonen sind überall dort sinnvoll, wo Verbraucher mit ähnlichem Wärmebedarf je nach Art und Lage zusammengefasst und über einen abtrennbaren Netzabschnitt versorgt werden können. Auf diese Weise lassen sich Teilnetze mit unterschiedlichen Vorlauftemperaturen einrichten, die an den jeweiligen Wärmebedarf angepasst sind, also beispielsweise für ein Quartier mit Niedrigenergiehäusern, ein Wohngebiet mit Bestandsbauten und ein Misch- oder Gewerbegebiet.
Der konventionelle Weg, die Netztemperatur in Teilzonen abzusenken, sind Wärmetauscher-Stationen. Diese erfordern jedoch einen hohen Installationsaufwand und bringen sowohl Druckverluste als auch beträchtliche Betriebskosten mit sich. Ein neuerer Ansatz besteht darin, die Vorlauftemperatur mittels Mischkreisen zonenweise anzupassen - ein Prinzip, das in kleinerer Dimension auch in Heizsystemen in der Gebäudetechnik eingesetzt wird. Dabei wird Wasser aus dem kühleren Rücklauf entnommen und mittels einer Pumpe dem Vorlauf beigemischt. Durch eine intelligente Regelung lässt sich die Vorlauftemperatur nicht nur statisch auf einen Sollwert absenken, sondern dynamisch an wechselnde Lasten anpassen. Im Unterschied zu einem herkömmlichen Wärmetauscher kann die pumpenbasierte Lösung auch mögliche Druckverluste im System ausgleichen und somit einen gleichmäßigen Betrieb sicherstellen.
Die Vorteile liegen auf der Hand. Geringere Temperaturen bedeuten geringere Betriebskosten, geringere CO₂-Emissionen und um bis zu 30 Prozent geringere Wärmeverluste. Zudem wird das Rohrsystem entlastet, es kommt zu weniger Leckagen, die Lebensdauer des Netzes steigt. Und schließlich lässt sich bei (Teil-)Netztemperaturen unter 90 Grad auch niedriggrädige Wärme aus Geo- und Solarthermie sowie Abwärme aus industriellen Prozessen oder beispielsweise Rechenzentren nutzen.
Digital geführte Temperaturzonen lassen sich mit geeigneten Lösungen vergleichsweise einfach realisieren. Grundfos bietet dafür eine Komplettlösung an, die ab Werk mit den erforderlichen, projektspezifisch ausgelegten Komponenten ausgestattet ist. Sie besteht aus Pumpe, Ventilen, Temperatur- und Drucksensoren sowie einer intelligenten Temperaturregelung und lässt sich als Station oder in einem Schacht oder Kabinett errichten. Die Anlage wird zwischen Transmissionsleitung und einem geeigneten Netzabschnitt installiert. Sie ermöglicht ein kontrolliertes Beimischen aus dem Rücklauf, um die Temperatur in dieser Zone auf das tatsächlich geforderte Niveau abzusenken.
Hydraulisch sind je nach Anforderung drei Schaltungen möglich:
Entscheidend für den effizienten Betrieb der Temperaturzone ist eine intelligente Regelung. Die Grundfos-Lösung ist mit einem Controller ausgestattet, der die von der Anlage gelieferten Echtzeitdaten - unter anderem Vor- und Rücklauftemperatur sowie verschiedene Betriebsparameter - mit vorgegebenen Sollwerten wie Mindesttemperatur oder Differenzdruck abgleicht. Auf diese Weise regelt die Anlage die Drehzahl der Pumpe und damit die Einspeisung aus dem Rücklauf. Für die Regelung ist keine Anbindung an eine Leittechnik erforderlich, die Temperaturoptimierungs-Einheit arbeitet auch als Standalone-Lösung. Der Zugriff auf visualisierte Betriebsdaten und Sollwerte erfolgt unkompliziert über die iGrid Cloud von Grundfos.
Der Begriff 'iGrid' (intelligent Grid, intelligentes Netz) steht für ein Konzept, mit dem sich Fernwärmenetze noch umfassender optimieren lassen. Eine zentrale Komponente ist der iGrid Temperaturoptimierer, eine spezielle Controllereinheit, die anhand von Echtzeitdaten aus SCADA-Systemen die optimale Vorlauftemperatur im Fernwärmenetz berechnet. Mit dem Zugriff auf aktuelle Witterungsdaten und einer 24-Stunden-Wettervorhersage ist auch eine witterungsgeführte Anpassung möglich. Zudem erkennt das System auch Verbrauchsmuster im Tages-, Wochen- und Jahresablauf, um beispielsweise bei morgendlichen Lastspitzen an Wochentagen rechtzeitig den Sollwert für die Vorlauftemperatur anzuheben.
Eine weitere Controllereinheit, der iGrid Druckoptimierer, kann eingesetzt werden, um mit Hilfe von Differenzmesspunkten und speziellen Algorithmen Druck und Energieverbrauch im Netz zu senken. Für die Temperatur- und Druckoptimierung lassen sich sowohl bereits vorhandene Sensoren einbinden als auch neue Messpunkte einrichten. Grundfos bietet dafür kabellose Gebäude- und Schachtmesspunkte an, die über einen thermoelektrischen Generator mit der nötigen Energie versorgt werden und keinen Anschluss ans Stromnetz erfordern. Die Controllereinheiten zur Temperatur- und Druckoptimierung arbeiten mit der Grundfos-eigenen iGrid Cloud, die NIS2 (Network and Information Security Directive)-konform ist. Der Zugriff auf die Daten erfolgt wahlweise entweder direkt über die Cloud oder per Anbindung an ein vorhandenes SCADA-System.
Digital geführte Temperaturzonen per Mischkreis stoßen auf wachsendes Interesse. In Dänemark, das als Musterland für Fernwärme gilt, setzen bereits etliche Netzbetreiber auf die iGrid-Technik. Ein Beispiel ist das Fernwärmenetz im dänischen Gentofte, einem Vorort von Kopenhagen. Hier wurde die Lösung eingesetzt, um die Vorlauftemperatur durchgehend zu senken. Das Netz hat einen Wärmebedarf von etwa 9.000 MWh pro Jahr und wurde vor der Modernisierung mit typischerweise 79 Grad Vorlauftemperatur gefahren, bei Spitzenlast bis zu 95 Grad. Durch die Absenkung der Vorlauftemperatur auf durchschnittlich 60 Grad konnten die Wärmeverluste von 2.750 MWh auf 1.950 MWh, also um 24 Prozent, gesenkt werden, was dem Wärmebedarf von mehr als 30 normalen Wohnhäusern entspricht. Trotz des zusätzlichen Energiebedarfs von 14 MWh für den Pumpenbetrieb spart die Modernisierung pro Jahr 47 Tonnen CO₂ ein, und die Amortisationszeit der Modernisierungsmaßnahme liegt deutlich unter den üblichen Kalkulationen bei Fernwärmenetzen.
Auch hierzulande gibt es inzwischen positive Erfahrungen mit der Grundfos-Lösung. Bereits im Herbst 2020 ging im niederrheinischen Krefeld die erste Pilotanlage in Deutschland in Betrieb. Betreiber ist die Netzgesellschaft Niederrhein mbH (NGN), eine Tochtergesellschaft der SWK Stadtwerke Krefeld. Das örtliche Fernwärmenetz versorgt rund 1.700 Verbraucher und stellt an kalten Tagen eine Leistung von 95 MW Wärme bereit. Das Netz wird je nach Jahreszeit mit einer Vorlauftemperatur von bis zu 120 Grad gefahren und ist hinsichtlich Struktur und Betriebsdaten typisch für deutsche Fernwärmenetze. Die Temperaturoptimierung wird in einem Netzabschnitt eingesetzt, der mit einer Anschlussleistung von etwa 4,5 MW Wärme ein Mischgebiet mit mehreren Schulen, einem Supermarkt sowie Ein- und Mehrfamilienhäusern versorgt. Die als Kabinettlösung ausgeführte Temperaturoptimierungs-Anlage ist zwischen Hauptnetz und dem betroffenen Netzabschnitt installiert und verbindet Vor- und Rücklauf, um die Vorlauftemperatur für den Netzabschnitt kontrolliert abzusenken. Die erforderlichen Sollwerte ermittelt die Regeleinheit auf Basis externer Parameter wie der Vor- und Rücklauftemperatur sowie der Anlagen-Betriebsdaten.
Abb 3: Als Kabinettlösung realisierte Pilotanlage in Krefeld (im Vordergrund: vorhandener Messschacht)
Mit Hilfe der Anlage konnte der Vorlauf bereits in der ersten Heizsaison wie geplant von etwa 120 auf 95 Grad abgesenkt werden, ohne dass es zu Störungen oder Kundenreklamationen kam. Auch während einer Kältephase mit höheren Minustemperaturen hat die Versorgung mit der niedrigeren Vorlauftemperatur reibungslos funktioniert. Die Erfahrungen in Krefeld zeigen, dass die Temperaturabsenkung um bis zu 25 Grad mit der richtigen Feinjustierung auch bei hohem Wärmebedarf im Winter problemlos möglich ist. Mit der geringeren Vorlauftemperatur kann der Betreiber sein Netz effizienter betreiben und zukünftig weitere Wärmequellen erschließen, unter anderem die Einspeisung von Prozesswärme aus einem Industrieunternehmen vor Ort. Inzwischen plant man in Krefeld weitere Netzabschnitte mit der Lösung zu optimieren, auch andere deutsche Städte befinden sich gerade in der Planungsphase.
Abb 4: Der Rücklauf (rechts) wird über die Pumpe geführt und intelligent geregelt dem Vorlauf des Netzabschnittes beigemischt (links)
Abb 5: Steuerung der Pilotanlage mit MOXA-Controllereinheit und Schnittstelle für die Ansteuerung per iGrid
Die Grundfos-Lösung ist für viele Netzbetreiber auch deswegen attraktiv, weil sie schrittweise und mit überschaubarem baulichen Aufwand und Budget umgesetzt werden kann. Der Eingriff in die vorhandene Netzstruktur ist gering, und Betreiber können mit einem begrenzten Pilotprojekt zunächst konkrete Erfahrungen im Betrieb sammeln, bevor sie sukzessive weitere Netzabschnitte optimieren. Bei Planung und Installation der Anlage und bei der Feinjustierung der Regelung können Betreiber auf die Expertise der Grundfos-Fachleute aus Deutschland und Dänemark zurückgreifen.
Die Vorteile der Lösung sind beachtlich. Gerade bei heterogenen Netzen sind intelligent geregelte Temperaturzonen eine gute Möglichkeit, Wärmeverluste in einzelnen Zonen um bis zu 30 Prozent zu reduzieren und das Netz durch einen gleichmäßigeren, niedrigeren Systemdruck zu entlasten. Zudem erleichtert die Temperaturabsenkung die Einspeisung von Abwärme aus industriellen Prozessen oder Rechenzentren sowie von Wärme aus erneuerbaren Energien, die eine wesentliche Voraussetzung für das Erreichen von Klimazielen ist. Schließlich reduzieren sich bei Netzerweiterungen auch die Kosten für die Isolation von Rohrleitungen.
Dort, wo Netze bereits an ihre Kapazitätsgrenze gestoßen sind, kann die Temperaturoptimierung einen weiteren Ausbau erst wieder möglich machen. Insgesamt hilft der Einsatz der Temperaturoptimierung bei geringen Investitionskosten die wirtschaftliche und ökologische Effizienz von Fernwärmenetzen zu verbessern.
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