Dieser Artikel wurde in der Ausgabe der gedruckten Kommunalwirtschaft abgedruckt.

Rubrik IT / Verwaltung / Security

Zwischen Fortschritt und Oberflächlichkeit

Stolperfalle Digitalwashing

Von Andreas Michel, Geschäftsführer und Mitgründer von Locaboo – 30.04.2024 – Lesezeit ca. 7 Minuten 135

Stolperfalle Digitalwashing

Tag für Tag werden wir mit Versprechungen einer modernen, effizienten Verwaltung konfrontiert. Doch die Umsetzung gestaltet sich oft langwierig und kompliziert. Digitale Vorzeigeprojekte wie papierlose Büros sollen einen modernen Eindruck vermitteln, bleiben aber meist weit von einer ganzheitlichen Digitalisierung entfernt. Der Begriff "Digitalwashing" beschreibt dieses Phänomen treffend: Oberflächliche Inszenierungen von Digitalisierung kaschieren grundlegende Probleme. Digitale Schaufensterprojekte mögen auf den ersten Blick glänzen, täuschen aber nicht darüber hinweg, dass der Großteil der Verwaltung auf veralteten Prozessen basiert. Es ist Zeit, genauer hinzuschauen und sicherzustellen, dass die Digitalisierung nicht nur oberflächlich, sondern umfassend und effektiv erfolgt, um echte Fortschritte zu erzielen.

Schmutzige Wahrheit: Warum Digitalwashing ein Problem ist

Aber was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Digitalwashing? Digitalwashing beschreibt die Praxis, einzelne digitale Maßnahmen oder Projekte als Erfolge darzustellen, ohne dabei eine umfassende, koordinierte Strategie zur Digitalisierung und Transformation zu verfolgen. In vielen kommunalen Verwaltungen lässt sich das Phänomen beobachten, dass zwar isolierte Lösungen implementiert werden, eine klare Vision oder langfristige Strategie für die digitale Entwicklung aber fehlt.

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Um es konkret zu machen: Ein Rathaus verkündet stolz, dass es nun ein "papierloses Büro" sei. Doch tatsächlich wurden lediglich physische Dokumente durch eingescannte Kopien ersetzt, ohne dass die zugrunde liegenden Prozesse modernisiert oder ein effizientes Dokumentenmanagement-System eingeführt wurde. Ähnlich verhält es sich mit anderen digitalen Vorzeigeprojekten, die den Eindruck einer erfolgreichen Digitalisierung vermitteln, während im Hintergrund die meisten Verwaltungsabläufe weiterhin auf veralteten, manuellen Prozessen basieren.

Im Schleudergang verborgen: Die Gründe für Digitalwashing

Digitalwashing entsteht jedoch keineswegs immer nur aus dem Unwillen oder böser Absicht von Verantwortlichen, ganz im Gegenteil. Kommunen stehen unter enormen Druck, Ergebnisse vorzulegen und Fortschritte zu demonstrieren. Und selbst mit einer vorhandenen Strategie scheitern Digitalisierungsprojekte oft an der Umsetzung und dem Budget. Die fehlenden finanziellen Mittel und begrenzten Ressourcen machen es schwer, die ambitionierten Ziele zu erreichen. Diese Ressourcenknappheit ist eine zentrale Hürde, die nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Bürger:innen frustriert zurücklässt. Dazu kommt ein Mangel an Fachkenntnissen innerhalb der Verwaltung. Die Komplexität der digitalen Transformation erfordert qualifiziertes Personal, das jedoch oft fehlt. Ohne das nötige Know-how wird es schwierig, effektive Strategien zu entwickeln und umzusetzen.

Politische Prioritäten spielen aber trotz allem ebenfalls eine Rolle. Kurzfristige Erfolge, die etwa für eine Wiederwahl vorgezeigt werden sollen, führen manchmal dazu, dass eine langfristige Vision für die digitale Transformation vernachlässigt wird. Die Politik fokussiert sich oft auf unmittelbare Ergebnisse, während langfristige Investitionen in die Digitalisierung zurückbleiben. Die fehlende Koordination zwischen verschiedenen Abteilungen und Behörden verschärft das Problem. Eine unkoordinierte Vorgehensweise führt zu redundanter Arbeit und Ineffizienz. Eine effektive Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den Akteuren ist entscheidend, um Digitalisierungsprojekte erfolgreich umzusetzen.

Grauer Schleier: Auswirkungen von oberflächlichen Lösungen

Obwohl Digitalwashing seine Nachteile hat, sind auch positive Aspekte zu erkennen, die nicht übersehen werden sollten. Kleine Digitalisierungsinitiativen können tatsächlich schon einen spürbaren Beitrag zur Effizienzsteigerung und zur Verbesserung der Bürger:innendienste leisten. Genauso zeigen digitale Schaufensterprojekte, wie moderne Technologie genutzt werden kann, um bürgernahe Lösungen zu entwickeln und transparenter zu kommunizieren. Es ist legitim und sogar notwendig, über solche Fortschritte positiv zu berichten, um das Vertrauen der Bürger:innen in die Verwaltung zu stärken und die Transparenz zu fördern. Wichtig ist hier der reflektierte Umgang mit den Maßnahmen und deren Einordnung in die Gesamtsituation. Fortschritte sollten gefeiert werden, aber darüber darf die Aufgabe der vollständigen und nachhaltigen Digitalisierung nicht vergessen werden.

Denn das macht die Transformation schwieriger und langwieriger als notwendig. Wenn oberflächliche Maßnahmen als vollständige digitale Transformation verkauft werden, bleibt das grundlegende Problem ungelöst. Dies kann schnell zu einer Verschwendung von Ressourcen führen und gleichzeitig das Vertrauen der Bürger:innen in die Verwaltung untergraben. So klingt die Implementierung einer App zum Einreichen von Anträgen und Beschwerden zunächst nach einem Zeichen für Fortschritt und Innovation. Doch wenn im Hintergrund die Prozesse und Strukturen in der Verwaltung weiterhin veraltet sind und die eingereichten Anträge aufgrund ineffizienter Arbeitsabläufe nicht rechtzeitig bearbeitet werden, ist die App lediglich eine kosmetische Lösung. Die Entwicklung und der Launch der App haben dann viel Zeit und Geld gekostet, ohne den entsprechenden Mehrwert zu bieten oder die zugrunde liegenden Probleme anzugehen, die eine effektive und zeitnahe Bearbeitung der Anträge ermöglichen würden.

Es ist wichtig, eine ausgewogene Perspektive zu behalten und sicherzustellen, dass Digitalisierungsinitiativen nicht nur oberflächlich, sondern auch nachhaltig und effektiv sind, um echte Fortschritte in der Verwaltung zu erzielen.

Hartnäckige Flecken: Herausforderungen und Hindernisse

Um Digitalwashing zu vermeiden, steht man also vor dem Balanceakt, Erfolge bei der Digitalisierung zu kommunizieren, ohne kleine Einzellösungen über eine Gesamtstrategie zu priorisieren. Um das zu meistern, ist es wichtig, echte Fortschritte zu identifizieren, die messbar und nachhaltig sind. Ein Beispiel hierfür ist die Reduzierung von manueller Arbeitszeit. Wenn eine Person zuvor täglich vier Stunden für bestimmte Aufgaben benötigte und nach der Digitalisierung nur noch eine Stunde braucht, stellt dies einen deutlichen Effizienzgewinn dar. Auch Mehreinnahmen oder kürzere Bearbeitungs- und Reaktionszeiten sind aussagekräftige Metriken.

Klare Ziele und Metriken sollten dabei im Vorfeld der Implementierung festgelegt werden, ähnlich wie es Start-ups mit OKRs (Objectives and Key Results) machen, um den Fokus auf messbare Ergebnisse zu legen. Diese Herangehensweise kann auch im kommunalen Umfeld bei Digitalisierungsvorhaben äußerst hilfreich sein.

Fehlende Messung und Messbarkeit von Erfolgen ist aber bei weitem nicht die einzige Stolperfalle. Um eine ganzheitliche Digitalstrategie in kommunalen Verwaltungen umzusetzen, gilt es noch einige andere Hindernisse zu überwinden. Dazu gehören insbesondere unklare Zuständigkeiten und fehlende Koordination. Eine mangelnde Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen und Behörden führt zu einer fragmentierten und unkoordinierten Digitalisierung, die echte Fortschritte behindert.

Externe Einflüsse wie Bundesprogramme und technologische Entwicklungen spielen eine weitere Rolle bei der Entstehung von Digitalwashing. Kürzungen von Digitalisierungsbudgets können das Voranschreiten von Projekten erheblich beeinträchtigen und wichtige Fortschritte verhindern. Es ist daher essentiell, eine ganzheitliche Vision für die digitale Verwaltung zu entwickeln, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Dazu gehört es auch, dass entsprechende Budgets und Anreize für Start-ups geschaffen werden, um Innovationen und Fortschritte in der Verwaltung zu fördern. Der Staat kann einiges aus der Wirtschaft lernen und eine engere Zusammenarbeit könnte den dringend benötigten Boost geben, den die Verwaltung in Sachen Digitalisierung braucht.

Der Weg zur digitalen Reinheit: Zusammenfassung und Ausblick

Wo digitale Transformation stattfindet, kann auch Digitalwashing entstehen. Das Streben nach schnellen Lösungen unter dem Motto "viel mit wenig in kurzer Zeit erreichen" stellt die Verwaltung vor gewaltige Herausforderungen. Da passiert es schnell, bewusst oder unbewusst, dass im Schnellwaschgang Lösungen präsentiert werden, die für sich alleine stehen und eine tatsächliche Erneuerung der veralteten Prozesse verhindern. Dennoch bleibt eine ganzheitliche Digitalstrategie unverzichtbar, um die bevorstehende Transformation effektiv, zügig und nachhaltig zu bewältigen – sei es auf kommunaler oder auf Bundesebene.

Im Rahmen einer solchen Strategie helfen klare Ziele und messbare Metriken, den tatsächlichen Nutzen von Anwendungen und Lösungen zu beurteilen und Digitalwashing zu vermeiden. Die Digitalisierung der Verwaltung wird nur gelingen, wenn wir kritisch und mit Bedacht vorgehen. Dabei ist das "Wir" entscheidend: Es liegt in niemandes Interesse, dass jede Kommune ihr eigenes Süppchen kocht. Durch Vernetzung und den Austausch bewährter Verfahren profitieren alle Beteiligten und beschleunigen so den dringend notwendigen digitalen Wandel.

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