Viele (halb-)öffentliche Grünflächen, ob Parkanlagen, Wohnquartiere, Schulen, Kitas, Friedhöfe oder Freizeitflächen, glänzen seit Jahrzehnten durch kurz gehaltene Rasenflächen und kastenförmig geschnittene Sträucher. Viele versiegelte Flächen werden nicht so genutzt als dass die Versiegelung notwendig wäre. Diese ordnungsliebende Kultur des Gärtnerns wird derzeit immer öfters infrage gestellt. Angesichts des weltweiten Rückgangs vieler Pflanzen- und Tierarten und ihrer Lebensräume erscheint es plausibel, mehr Natur zuzulassen und das Gärtnerhandwerk interessanter und zukunftsfähiger weiterzuentwickeln.
Was also tun, um mehr Pflanzen und Tiere in den urbanen Raum zu bringen und dabei auch das Gestaltungspotenzial von Grünflächen zu heben?
Eine Möglichkeit besteht darin, dass Gärtnerberufe ihre vielgestaltigen Möglichkeiten erkennen und nutzen! Bauhöfe und Galabaubetriebe könnten „ihre Flächen“ weitaus mehr mit heimischen Wildpflanzen, Trockenmauern, Totholz und Wasserstellen ökologisch aufwerten. Das Naturgarten-Team der Stiftung für Mensch und Umwelt hat seit 2017 auf diese Weise zahlreiche „naturnahe“ Blühoasen mitten in Berlin geschaffen, mit Erfolg! Die Artenvielfalt stieg auf diesen Flächen nachweislich deutlich an, wie die Wildbienen-Monitoring-Ergebnisse aus ihrem „Treffpunkt Vielfalt“-Projekt zeigen. „Wenn Gemeinden, Landkreise und Städte ihren grünen Hebel nutzen, kann ein Win-Win für alle entstehen: für die Gesundheit der Menschen, für die biologische Vielfalt und für das Klima“, so die Stiftungsleitung Dr. Corinna Hölzer und Cornelis Hemmer. Lassen Sie sich vom folgenden Text für eigene Maßnahmen in Ihrer Kommune inspirieren!
Kommunen profitieren vielfach
Naturnahes Grün kommt nicht nur Vögeln, Insekten und Co. zugute. Auch Kommunen mit ihrer Verwaltung und ihren Bürgern haben konkrete Vorteile:
- Einheimische Wildpflanzen und deren naturnahe Zuchtformen werden einmalig gepflanzt und vermehren sich nachfolgend eigenständig. Eine jährliche Neupflanzung ist daher nicht nötig.
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- Artenreiche Blühwiesen werden nur ein- bis zweimal im Jahr gemäht, Stauden im Herbst kaum geschnitten. Arbeitsschritte wie Mulchen, Düngen oder häufiges Mähen entfallen.
- Entsorgungskosten für Falllaub, Schnitt- und Rupfgut entfallen, es entstehen Winterquartiere für Igel und andere Wildtiere.
- Durch die Wahl trockenheitsverträglicher („klimafitter“) Wildpflanzen ist der Niederschlag in aller Regel ausreichend, um die gepflanzte Vegetation im Rahmen der Unterhaltungspflege zu erhalten. Nur bei starker Trockenheit wird gewässert, Wiesen nie.
- Grünflächen mit verschiedenartigen Pflanzenarten sind resistenter gegenüber Klimaeinflüssen – nach dem Motto: Ein paar Arten schaffen Trockenheit und Starkregen nicht, andere dafür schon.
- Die Verdunstung durch diverse Pflanzenstrukturen, Sträucher und Bäume ist höher, das Mikroklima wird als angenehmer empfunden als versiegelte Flächen.
- Die Temperaturen von stark bewachsenen Grünflächen gegenüber kurzen, ausgetrockneten Rasenflächen oder Beton/Asphaltflächen ist bedeutend niedriger.
- Vielfältig gestaltete Grünflächen mit ihrem Gesumme und Gezwitscher sind gut für die Entspannung und Psyche von uns Menschen.
Allerdings gibt es auch Vorbehalte gegenüber naturnaher Bepflanzung. Besonders geschmäht werden vertrocknete Stängel im Herbst. Hier ist Aufklärung gefragt, denn viele Menschen erkennen nicht von selbst die Wichtigkeit von Samen und Früchten für viele Tierarten.
Was heißt eigentlich „naturnah“?
Auf Pestizide, Torf und Mineraldünger wird grundsätzlich verzichtet . Außerdem werden bei einer naturnahen Gestaltung vornehmlich heimische Pflanzen verwendet. Vor allem die Insektenwelt ist auf sie angewiesen. Durch die Anpflanzung heimischer Arten kann sichergestellt werden, dass eine Vielzahl heimischer Tierarten profitiert. Eine Faustregel besagt, dass von jeder heimischen Pflanzenart mindestens zehn Tierarten abhängig sind. Bei vielen heimischen Pflanzen wie z.B. der Eberesche sind es jedoch deutlich mehr Profiteure. Die Glockenblumen-Sägehornbiene z. B. sammelt ausschließlich auf Glockenblumen den Pollen für ihre Brut, die Efeu-Seidenbiene liebt den spät blühenden Efeu und die Auen-Schenkelbiene ist die einzige Wildbiene, die ihre Brut mit der öligen Substanz des Gilbweiderich füttert. Typisch für eine naturnahe Gestaltung sind zudem vielfältige Strukturen: Neben heimischen Pflanzen bieten sich Trockenmauern, Lesesteinhaufen und Totholz an. Und Wasserstellen nicht vergessen!
Zwei Praxisbeispiele aus Berlin:
In einigen deutschen Städten gibt es mittlerweile „PikoParks“. Der Name ist abgeleitet von „piccolo“, klein. Dieser neue, naturnahe Grünflächentyp, entwickelt vom Wissenschaftsladen Bonn, eignet sich besonders für die Qualifizierung von ödem Abstandsgrün in Wohnquartieren. Dieser Mini(N)aturpark bringt auf nur 300 bis 600 Quadratmetern sowohl Strukturreichtum und Blüten als auch Sitzbänke und Wege. Der inzwischen preisgekrönte PikoPark im Schollenhof (Berlin-Reinickendorf) verschönert seit Juni 2021 als erster Berliner PikoPark eine zuvor vernachlässigte Grünfläche der Baugenossenschaft „Freie Scholle“ zu Berlin eG.
Parkbesucher finden u. a. Staudenbeete, Trockenmauern, eine große Wildbienennisthilfe und Totholz vor. Über farbige Infoschilder erfahren Interessierte, warum diese Gestaltungselemente zur Förderung von biologischer Vielfalt wichtig sind. Bei Pflanzaktionen brachte die Stiftung für Mensch und Umwelt gemeinsam mit den Anwohnern Stauden und Frühjahrsblüher in den Boden. Das förderte die Identifikation der Menschen mit ihrem neuen Park. Gleiches gilt für das angeleitete Bauen von Wildbienen-Nisthilfen. Neben dem PikoPark im Schollenhof legte das Naturgartenteam der Stiftung inzwischen vier weitere Parks in Berlin an, weitere sind in Planung.
Auch Friedhöfe können das Leben fördern…
Auch so manche Friedhofsverwaltung fördert inzwischen Biodiversität, so auch der St. Elisabeth II Friedhof in Berlin-Mitte: Seit September 2024 gibt es dort ein 40 Quadratmeter kleines, sogenanntes „Trittsteinbiotop“. Das ist eine naturnahe, strukturreiche Blühinsel. Sie ist nun Bestandteil des dort angesiedelten solidarischen Lehrgartens „himmelbeet“ und fördert einige vom Quartiersmanagement definierte Handlungsschwerpunkte: So bietet das Trittsteinbiotop zu jeder Jahreszeit einen naturnahen Begegnungsort, für einige Anwohner*innen sogar direkt vor der Haustür! Das Mini-Blühparadies ist Teil des senatsgeförderten Projekts „Naturnahe Trittsteine entlang der Grünen Hauptwege. Biodiversität auf mehr Flächen bringen. Und in die Köpfe und Herzen der Berliner! Reinickendorf und Mitte starten durch.“ „Unser Pilotprojekt verfolgt die Idee, mit der ökologischen Aufwertung von kleinen urbanen Teilflächen die Biotopvernetzung zu unterstützen. Das Trittsteinbiotop fügt sich sehr gut in das Konzept des solidarischen Lehrgartens im multikulturellen Soldiner Kiez ein.“, so Kristine Tschirschnitz, Projektleiterin für dieses Trittsteinbiotop, Stiftung für Mensch und Umwelt.
Pflege schon bei der Planung mitdenken
„Eine genauso wichtige Rolle wie die Gestaltung spielt die anschließende Pflege der naturnahen Flächen“, so Peter Müller, Mitarbeiter im Naturgartenteam der Stiftung für Mensch und Umwelt. Das mag verwundern. Tatsächlich werden naturnahe Flächen aber nicht sich selbst überlassen, sondern u. a. nach diesen Kriterien in Schuss gehalten:
- Abgestorbene Pflanzenstängel werden erst im Frühling geschnitten bzw. entfernt. So findet Insektenbrut in den Stängeln ein Winterquartier, Vögel und Käfer können an den Samenständen fressen.
- Naturnahe Wiesen werden nur ein- bis zweimal im Jahr gemäht (je magerer der Boden, desto weniger), das Schnittgut wird entfernt (Ziel: Nährstoffanreicherung vermeiden).
- Laub wird von sonnigen Magerbeeten und Wiesen abgeräumt, um sie mager zu halten.
- Unerwünschte Pflanzen werden in den ersten zwei bis drei Jahren regelmäßig entfernt!
Es ist wichtig, Anwohner und GaLaBau-Betriebe über diese naturnahen Pflegemaßnahmen aufzuklären. So können die Akzeptanz der Flächen und ihre Entwicklung gefördert werden.
Jetzt informieren und kleine Lebensräume anlegen!
- Broschüre „Treffpunkt Vielfalt – Naturnahe Gestaltung von Wohnquartieren;
Argumente, Möglichkeiten, Entscheidungshilfen“ (46 Seiten)
- Buch „Der Handlungsleitfaden: Naturnahe Gestaltung von Wohnquartieren.
Praxistipps für Planung, Anlage und Pflege“ (136 Seiten)
- Online-Kurs „Naturnahes Grün“ für Akteure aus dem Wohnungsbau, Mitarbeiter der Verwaltung, Landschaftsplaner etc. (6 Std. Video-, Bild- und Textmaterial)
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